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"Digitale Sequenzen" nennt Thomas Petri seine seit 2000 entstehenden Bilder. Sie bestehen aus unterschiedlich vielen Einzelbildern, die er horizontal aneinander reiht.

Das Ausgangsmaterial sind Photographien von Reisen in Europa, in Asien, in denen er Eindrücke, das heißt Bilder und damit auch Erinnerungen einfängt, Momente, die sich im Film, besser auf der Festplatte der Digitalkamera aneinander reihen.

Ich sage bewusst Momente, Bruchteile von Sekunden, in denen die Kamera das Motiv einfängt als Kern einer Geschichte, einer Episode, einer Landschaft, als Ort in einer Stadt und vielem anderem mehr, was man mitnehmen kann als Bilder, wenn man mit offenen Augen und mit offenem Objektiv durch die Welt reist.

Während wir vielleicht im Machen der Aufnahme den künstlerischen Akt suchen, fängt bei Thomas Petri der künstlerische Prozess, die Verarbeitung zuhause im Photoatelier an - sein Instrument, sein Werkzeug ist der Computer. Die Aufnahmen sind schon mit der Digitalkamera gemacht, bestehen also letztlich aus ganz vielen Bits, Pixeln, die nun zum eigentlichen Material des Künstlers werden. Mit selbst geschriebenen Programmen werden die Bilder in viele Komponenten zerlegt, jedes der Elemente wird einzelnen bearbeitet, verändert, und dann wird das Bild neu komponiert, oft aus mehreren Bildern.

Kunsttheoretisch formuliert geschieht der Bildprozess zuerst in dem Schritt der ,De-konstruktion', der zu den Elementen des Bildes führt. Im zweiten Schritt werden diese Elemente aufgeladen mit Farbe, mit Dehnung, vollzieht sich ein Prozess der Abstraktion bis zur Unerkenntlichkeit, aus dem neue, andere Formen erwachen, neu konstruiert, neu geschaffen werden: Farbbahnen, Farbstrukturen in Bewegung und was Sie sonst alles entdecken können. Unwillkürlich denkt man an Malerei ob der intensiven Farbsättigung der Bilder, der Abstraktion in Farbbahnen und Strukturen, der Unschärfe, die heute so ein großes Thema der Kunst ist. Ich stelle mir vor, wie die Maus zum Pinsel wird, weiß aber mittlerweile, dass dem nicht so ist. So hat jedes Bild eigentlich zwei Geschichten: den Moment der Aufnahme und den abstrahierenden und neu konstruierenden Prozess der Gestaltung.

Menschliche Figuren, Landschaftspartien, Häuser und Stadtarchitekturen u.a.m. sind noch zu erkennen, manchmal auch nur mehr zu ahnen in der farbigen Abstraktion, in der Verzerrung, in der Dynamik des Stauchens und Dehnens und der Bewegung der Gestaltung. Thomas Petri tastet sich so an die Grenze zwischen Realität und Abstraktion, zwischen Gegenstand und rein informeller, "malerischer" Geste. Und genau da findet Imagination, Bild werden im Auge und im Gehirn statt, zwischen Erkennen und Assoziieren, Wahrnehmung und Vorstellung, und dies Wechselspiel, dieses Rätseln und sich in die Bewegung und die Formen einlassen ist es, woran sich unser Bedürfnis nach Erkennen und Verstehen verankern kann.

Noch immer haben wir beim einzelnen Motiv eingeklinkt. Was ich Ihnen erzählt habe, können Sie mitvollziehen, ohne dass wir verstehen, wie das im Einzelnen gemacht ist.

Nun komponiert der Künstler viele Bilder zu einem Fries. In kurzen und breiten Bildern, statischen Momenten und extremer Dynamik reihen sich die Bilder zu einem Gesamtbild, das ganz intuitiv einen Rhythmus ergibt, in dem andere Systeme spürbar werden, Symmetrie z. B. oder der Wechsel von dynamischen Bewegungen in der Fläche und angehaltenen Momenten mit Blick in eine bildräumliche Tiefe.

Wenn Sie, meine Damen und Herren, ein wenig Abstand nehmen und vielleicht die Augen ein wenig zusammenkneifen, dann spüren Sie die Komposition des Bilderfrieses.

Noch länger wird die Reise in den Bildern, wenn Sie die ganze Serie ablaufen und so bekommen die Werke eine Zeitdimension, in der die Reihe der Momente in der Dynamik der Bewegung aufgehoben ist. (Reise in die imaginäre Bildwelt)

Am Anfang war das Photo, am Ende stehen wir vor einer Komposition von digitalen Sequenzen, in denen wir ein abstraktes Malen mit den Mitteln digitaler Bildbearbeitung vor Augen haben. Der Begriff ,Komposition' erinnert ja auch an die Wahrnehmung von Musik - hier könnte man an Programm-Musik denken, die reale Geräusche in Klänge aus Instrumenten eines Orchesters verzaubert - denken Sie an "Bilder einer Ausstellung" von Musorkski oder an die Geräusch- und Klangbilder der Musik von John Cage.

Dr. Werner Meyer