Texte 3

Ich war gestern mit Thomas Petri hier in der Bibliothek. Als ich den Raum betrat und die Fotos sah, dachte ich: Eigentlich sind die Fotografien in diesem Raum ideal untergebracht. Denn es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen den Fotografien und den Büchern, die hier sind:  Wenn wir lesen, bewegen wir unsere Augen von links nach rechts und sie sind in einem ständigen Fluss und genau so sind die Fotografien von Thomas Petri zu verstehen: Dass man die Bilder lesen muss, dass man nicht statisch vor den Bildern stehen kann und sagt: So, jetzt schaue ich mir dieses eine Motiv an. Sondern dass man ständig in Bewegung ist. Man kann im Grunde die Bilder hier abschreiten, genauso, wie man mit dem Auge Zeile für Zeile einen Text liest.

Worauf ich noch eingehen möchte, ist, dass man alles, was Bewegung in der Fotografie ausmacht, dass man das bei Thomas Petri schlicht und ergreifend vergessen kann, weil es wenig mit dem zu tun hat, was wir unter Fotogafie verstehen. Oder was landläufig für uns ein fotografisches Bild bedeutet: Die Wirklichkeit abzubilden, die Realität zu sehen. Dass ja gerade die Fotografie auch einen magischen Moment hat, was Cartier-Bresson mit "moment decisive" beschrieben hat, dieser entscheidene Moment, wenn ein Fotograf auf den Auslöser drückt, und eine hunderstel oder tausendstel Sekunde von einem Moment festhält. Das alles passiert in den fotografischen Arbeiten von Thomas Petri nicht, hier passiert etwas ganz anderes, auch wenn man sich die Fotos anschaut und an einen klassischen Bildaufbau denkt, zentralperspektivischer Raum, ein Zentrum, vielleicht mehrere Zentren, worum sich etwas gruppiert, Vordergrund, Mittel- Hintergrund, auch das ist eigentlich hier nicht zu finden.

Was macht Thomas Petri? Wir haben bereits erwähnt, dass er sich schon immer für Fotografie interessiert, aber dass die wichtigsten, sagen wir mal die Lehr- und Meisterjahre für ihn dieser Aufenthalt in Paris war, bei Gerhard Vormwald, wo er ganz viel gelernt hat. Wo für ihn im Grunde die Fotografie zur Leidenschaft wurde und wo er von 1982 bis 1992 in Paris war und dann wieder zurückgekommen ist nach Heidelberg.

Was wichtig ist vielleicht, die Korrespondenz zu verstehen zwischen Gerhard Vormwald und Thomas Petri, ist zum einen natürlich der grosse Unterschied in der fotografischen Auffassung, aber dass es auch Dinge gibt, die inhaltlich doch letztendlich einen Gedanken weitertragen, den Thomas Petri in seiner Pariser Zeit gelernt hat. Sich damit auseinandergesetzt hat, dass er die Fotografie als ein Medium betreibt, um gerade nicht die Realität abzubilden, sondern die Realität ins Wanken zu bringen oder vielleicht auch die Fotografie auf den Kopf zu stellen. Und das ist sicherlich ein entscheidendes Kriterium, dass man bei einem Lehrer, wie es Vormwald war, der ja international bekannt ist, zum einen wenn man anfängt, selber eine künstlerische Sprache zu entwickeln, dass man sich dann einerseits von ihm auch abtrennen, abspalten muss, und gleichzeitig auch eigene Ideen entwickeln muss. Und das ist es, was Thomas Petri bei seinen Fotografien auf eine ganz interessante Weise umgesetzt hat, da er einer ist, der sich sehr viel mit Computern auskennt, der sehr, sehr früh im digitalen Zeitalter vertraut war, wo wir noch gar nichts von digitaler Kamera gehört haben. Ich habe nochmal nachgeschaut, wann gab es eigentlich die ersten Digitalkameras? Ein Urding gab es wohl schon 1975, aber die erste Spiegelreflexdigitalkamera, die gabs 1990, immens teuer und für uns alle noch gar nicht im Bereich der Nähe. Thomas Petri hat sich in frühen Jahren mit dieser neuen Methode der Bilderfassung auseinandergesetzt und dabei sehr früh damit angefangen, wie man mit den einzelnen Pixeln umgeht und was man eigentlich mit diesen digitalen Bildern machen kann.

Und so geht für ihn die Entwicklung eigentlich auch los: Dass er Fotografien nimmt, das ist die Grundausgangsbasis, dass er sehr viel reist, er gerne in Asien ist, er gerne in Europa ist, und dann die Grundlage seiner Arbeit diese Reisefotografie darstellt. Also er nimmt diese Reisefotografien und bearbeitet sie dann. Sie sind digital aufgenommen, nicht analog, die dann von ihm daheim am Computer bearbeitet werden, im Grunde die Pixel, ich sag mal, geknackt werden, aufgebrochen werden. Dass Bilder auf einmal ihre Realität verlieren, dass sie anfangen, sich zu bewegen, dass sie anfangen zu schwanken, dass sie unheimlich viel Dynamik in sich bergen. Dass keine Ruhe, kein Stillstand eintritt. All dies wird im Grunde in grossen Friesen um die einzelnen aufgeknackten oder aufgebrochenen Bilder, die so verfremdet wirken, wieder in friesartigen Segmenten hintereinandergereiht, und so erzählt er im Grunde ganz neue Geschichten.

 ...Wenn ich davon spreche, was ich eigentlich gesehen habe in diesen Fotos, ist das meine eigene Sicht der Dinge. Wenn ich Thomas Petri frage: Sag mal, ist das da nicht ein Einkaufswagen? Dann guckt er so rüber und sagt:  Hm, weiss ich nicht mehr. Sie können ja auch mal versuchen ihn zu fragen, wenn Sie diese Motive entschlüsseln wollen, es fällt schwer. Und das ist genau das, was er verweigert, was er nicht will, dass er sagt: Das war mal das. Sondern dass es darum geht, was wir sehen, und sehen, das könnte es sein, könnte es gewesen sein. ...

Dass dieses Motiv, von dem man denkt, man hat es jetzt erfasst, sich im nächsten Moment auch wieder auflöst, in eine zum Teil farbig schillernde Fläche, die man hier gerade sehr schön sehen kann. Im Grunde alles, was das Auge gesucht hat, ist hier in einem Gegenstand zu erkennen, der im nächsten Moment in eine wunderschöne Farbfläche aufgelöst wird. Also ein Spiel zwischen Abstraktion und der Gegenständlichkeit. Wir Menschen sind geneigt, in Momenten, wo etwas sehr ungegenständlich erfahren wird, immer auch etwas Figuratives zu entdecken und zu erkennen. Und ich glaube, da ist Ihrer Phantasie beim Betrachten der Arbeiten überhaupt keine Grenzen gesetzt.

Und sonst gibt jede Arbeit hier einen Rhythmus vor. Also Rhythmen, die immer wieder wechseln zwischen Dynamik und grossem Stillstand, zwischen Schärfe und Unschärfe, zwischen Gegenständlichem und Abstrakten. Wenn man aus der Distanz die Fotos anschaut, und meint, wenn ich näher hingehe, sehe ich mehr, wird eher überrascht sein. Weil, wenn man näher hingeht, sieht man eigentlich eher weniger. Dann sieht man den ganzen Pixelsalat. Erst durch die Distanz erkennt man auch viel deutlicher diese figurativen Elemente in diesen Fotografien.

Was mich auch immer wieder inspiriert hat beim Betrachten, dass ich dachte, es gibt auch Momente, in denen etwas in diesen ganzen schillernden Farbflächen überwiegt, in den zackigen Linien oder in den ganz runden, organischen Linien, dass das auch viel mit Partituren, mit Musik zu tun haben kann. Wo so ein Stakkatoelement mit reinkommen kann oder eher ein Legato, wenns ruhiger wird, oder aufstreben, abstreben, laut und leiser. Also hier gibt es immer wieder diesen Dialog zwischen diesen unterschiedlichen Polen.

Thomas Petri verweigert ja fast schon, etwas zu seinen Arbeiten sagen, aber wenn man sich die Bildtitel anschaut, und meint zu erfahren, wo die Fotos aufgenommen worden sind, da ist er auch ganz stur und nummeriert sie nur einfach durch. Er hat mir so viel preisgegeben, dass die Fotos alle in Asien entstanden sind. Und das ist wiederum interessant, denn er hat mir einmal erzählt, dass er mal versucht hat, Motive aus Asien und aus Frankreich zusammenzubringen in einem Fries, also unterschiedliche Bilder, und das hat überhaupt nicht funktioniert. Und das fand ich schon interessant, das also auch diese Stimmung, auch wenn das alles bearbeitet ist, dass dann doch ein Land oder eine Region eine ganz bestimmte Atmosphäre oder Stimmung hat. Und dass zu grosse Brüche entstehen würden, wenn da noch Bilder von anderen Ländern mit reinschwingen würden.

Da sind wir bei einem ganz wichtigen Moment, dass eben diese Bilder von ihm am Computer bearbeitet werden, zusammengesetzt werden. Und dass er natürlich ein Ästhet ist, dass ihm es darum geht, diese Fotografien, die ja aus unterschiedlichen Elementen zusammengebaut sind, dass die wieder ein in sich geschlossenes harmonisches Ganzes ergeben.

Ganz zum Abschluss wollte ich noch ganz kurz etwas dazu sagen, was diese Arbeiten auch in sich tragen: Dass sie dem Betrachter wenig Halt geben, dass alles so in der Schwebe ist. Und man eben diese Bilddefinition: Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund, dass sie immer so vage bleibt. Dass man ständig in einem Prozess ist von einer Bewegung, die irgendwie nie aufhört. Und als ich mir die Arbeiten angeschaut habe, ist mir auch ein Satz, den sie alle kennen, eines berühmten griechischen Philosophen, nämlich Heraklit eingefallen: Panta rhei, alles fliesst, alles ist in Bewegung, alles ist einem Prozess unterworfen, des ständigen Werdens und Wandels.

Und so kann man die Fotografie von Thomas Petri auch als Metapher für das Zerfliessen der Zeit sehen, des Nicht-festhalten-könnens eines Momentes, was man in der Fotografie ja immer glaubt, dass man es machen kann. Und dass sie eben auch eine Instabilität zeigen, vielleicht auch unserer eigenen Existenz, unseres eigenen Lebens. Landschaften und Menschen tauchen kurz auf, um gleich darauf wieder im Strom der Zeit unterzugehen und zu verschwinden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Barbara Auer

Einführung in die Ausstellung “Sequenzen 02” in Heidelberg 2010 (Transkription der Rede nach Audiofile).